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Das Renaissance-Gebäude

Ein Herrensitz aus dem Jahr 1582 im Herzen der Weinberge!

Andlau und seine Abteikirche

Die Gemeinde Andlau liegt mitten im hügeligen Vogesenvorland, am Ausgang eines Tals, durch das die Andlau fließt. Nach ihr wurde der Ort benannt. Eingebettet in Wälder und Weinberge, zählt das burgengekrönte Städtchen zu den touristischen Top-Destinationen im Elsass.

Kulturhistorisch besticht der Ort durch ungewöhnliche Vielfalt und Reichtum. Grandios die romanischen Steinskulpturen, zahlreich und interessant die Renaissance-Fachwerkhäuser mit Sockelmauerwerk, besonders prominent vertreten die Kunst des 18. Jahrhunderts.

 

Vue générale d'Andlau ©ADAC

Der Ort war schon zur Zeit der Kelten besiedelt.  Um 880 n.Chr. ging Andlau mit der Gründung eines Frauenklosters durch die Gemahlin von Kaiser Karl dem Dicken in die Geschichte ein. Richardis war die Tochter des elsässischen Grafen Erchanger und wird heute als Heilige verehrt. Ab 1288 wurden die Äbtissinnen, die als Einzige das endgültige Gelübde ablegten, in den Rang von Fürstinnen des Heiligen Römischen Reiches erhoben. Die Stiftsdamen musssten 16 adlige Vorfahren nachweisen, um einen Platz in der Abtei zu erhalten.

Le village d’Andlau © Frantizek Zwardon

 

Die Familie von Andlau

Bereits 1141 n.Chr. als Verwalter der Abtei erwähnt, steigt die Familie von Andlau Ende des 13. Jh. oder Anfang des 14. Jh. als Lehensträger in den niederen Adel auf. 1432 wird sie sie von der Äbtissin ermächtigt, Andlau zu befestigen.
Im Spätmittelalter umfasst die Lehnsherrschaft derer von Andlau eine Reihe von Dörfern, welche die Kernbesitzungen der Familie bilden (Andlau, Valff, Itterswiller, Mittelbergheim, Zell, Stotzheim, Bernardvillé, Reichsfeld, Nothalten und Blienschwiller). Damit gruppieren sich ihre vom Bistum Straßburg, von der Abtei Andlau und dem Reich überlassenen Lehensgüter recht kompakt in der Gegend von Andlau. Ab dem ausgehenden 13. Jh., vor allem jedoch ab dem 15. Jh., fassen die Andlau auch im Oberelsass Fuß (rund um Wittenheim-Kingersheim und Homburg/Klein-Landau). Diese Besitzungen lassen später separate Linien entstehen (die Andlau-Wittenheim und die Andlau-Homburg), die jeweils einen Teil der Lehnsherrschaft von Andlau besitzen - womöglich ein Ausdruck der Verbundenheit der Familie mit ihrem Ursprungsort. Für die jüngere Zeit fehlen historische Forschungen und Bewertungen, sodass Informationen nur verstreut und lückenhaft vorhanden sind. Dennoch sprechen viele Hinweise für die Vitalität und Macht sowie das Ansehen und den Reichtum dieses Geschlechts im 16. und 17. Jahrhundert.

 

Die Residenzen derer von Andlau bis zum 16. Jahrhundert

Schon vor 1274 lassen die Andlau auf den Höhen des gleichnamigen Dorfes die mächtige Burg Hohandlau erbauen. Die Burg Niederandlau entsteht wiederum zwischen 1334 und 1340 direkt im Ort. Im Ostteil der Siedlung gelegen, wird diese Burg anscheinend frühzeitig aufgegeben und verfällt zusehends. Im 16. Jh. ist Niederandlau offenbar zu marode, als dass die Burg der Familie weiter als Domizil hätte dienen können. Daher, so heißt es, entstehen zu Zeiten Alexanders von Andlau († 1573) und seiner Söhne zwei repräsentative Bürgerhäuser. Diese Stadtpalais befinden sich unweit des Oberthores, das bei der Klostermauer aus der Stadt hinaus führt, in der Pfaffengasse (heute Rue du Docteur Stoltz) jeweils auf der anderen Straßenseite.
Das erste Gebäude stammt aus dem Jahre 1573 und thront bis heute mit der Hausnummer 17 in der Rue du Docteur Stoltz: ein teilweise in Holzfachwerk errichteter, herrschaftlicher Bau. Er soll von Friedrich († 1622) bewohnt worden sein, dem jüngsten Sohn des Alexander von Andlau.

 

1573

 

Palais von 1573 - 17, Rue du Docteur Stoltz

 

Ungleich mächtigere Dimensionen besitzt die rund zehn Jahre später direkt gegenüber errichtete „Seigneurie“. Wie der Name schon sagt, handelt es sich um einen Herrensitz.

 

Ein feudales Herrenhaus erbaut um 1582/1583

Der um 1582/1583 von einem Mitglied der Familie von Andlau erbaute Palais erhebt sich inmitten eines Areals, das im Osten begrenzt wird vom Rathausplatz, im Norden von der Kettengasse, heute Rue de la Chaîne, und im Westen und Süden dem Bogen, den die Pfaffengasse bildet (heute Rue du Docteur Stoltz). Der Wohntrakt verläuft an der Pfaffengasse entlang. Im Osten wird ein bedeutender Teil der Fläche von einem weitläufigen Hof und Garten eingenommen. Die „Seigneurie“ grenzt an das alte Rathausgebäude, 1840 ersetzt durch das jetzige Rathaus. Auf dem Platz, der sich vor dem Rathaus erstreckt, wurde schon im Mittelalter der Wochenmarkt abgehalten. Im Süden schließen sich an den Hof der sogenannte Salzkasten, wo das Salz gelagert wird, und die städtischen Pferdestallungen an.

Mit ihren wuchtigen Ausmaßen beherrscht die „Seigneurie“ die umliegenden Häuser. Doch wurde der Bau bis 2008 nur ansatzweise erforscht, sodass viele architektonische Einzelheiten im Dunkeln blieben.  Das Baujahr ist bekannt, da mitten an der Hauptfassade, am Türsturz des in den Treppenturm führenden Portals, die Jahreszahl 1582 prangt.

1905

 

plan Andlau au Moyen Âge

 

Localisation hôtel de 1582

 

millésime 1582

Dieses Datum deckt sich mit vielen heute noch sichtbaren, architektonisch bemerkenswerten Bauelementen (Volutengiebel, mehreckiges Türmchen mit Wendeltreppe, reich verzierte Tür, Fenster mit Spuren bemalter Verzierungen…). Stilistisch harmonisch, zeugen sie vom außerordentlich guten Zustand der Außenfassaden und verweisen auf die Architektur der Renaissance am Oberrrhein - ein Stil, wie er im Elsass in der zweiten Hälfte des 16. Jh. und in der ersten Hälfte des 17. Jh. weit verbreitet ist.

Bei archäologischen Untersuchungen wurde auf einem Holzbalken im ersten Stock ein weiteres Datum (1583) freigelegt. Somit darf eine Erbauung um 1582/ 1583 angenommen werden.

 

1583

Extrem dürftig sind unsere Kenntnisse über die ursprüngliche Funktion und Verwendung der einzelnen Gebäudeebenen. 1932 berichtet Emile Bécourt, dass das Erdgeschoss „wie üblich von Lager- und Vorratsräumen eingenommen“ wurde und der erste Stock „den Empfangssalons und Prunkräumen vorbehalten“ war, während der zweite Stock als „Wohntrakt“ und der Dachstuhl als Speicher dienten. Die jüngsten Untersuchungen legen nahe, dass diese Bewertung im Großen und Ganzen stimmt.

 

La Seigneurie vue du sud

 

Von wem in Auftrag gegeben?

Der Überlieferung nach wurde das „Hôtel d’Andlau“ von einem der Söhne des 1573 verstorbenen Alexander von Andlau errichtet; doch ist bis heute unbekannt, welches Familienmitglied genau den Prachtbau in Auftrag gab. Im Tympanon-Relief des Portals zum Treppenturm erkennt man über der Jahreszahl eine Frau, die in ihren Händen das Wappen des Bauherren und seiner Gemahlin hält, bekränzt von Helm und Helmdecke. Die Embleme wurden leider abgeschlagen (vermutlich zur Zeit der Französischen Revolution), sodass sie leider keinerlei Hinweise auf den Erbauer geben können.

Armoiries de la tourelle d'escalier

Weiterhelfen könnte jedoch ein Fund, der bei archäologischen Untersuchungen im ersten Stock gemacht wurde: Auf einer Holzkonsole erkennt man ein geschnitztes Wappenschild mit den Insignien der Familie Zorn (rot-golden geteiltes Bord um einen achtstrahligen silbernen Stern) in Verbindung mit dem Buchstaben „Z“ (eine erste Initiale wurde abgeschlagen). Damit könnte es sich bei dem Wappen, das neben dem Schild des Adelsgeschlechts von Andlau am Türsturz über dem Portal zum Treppenturm abgeschlagen wurde, durchaus um das Heroldsbild derer von Zorn handeln.

Blason des Zorn

Zumal mindestens drei Söhne des Alexander von  Andlau mit einer Zorn verheiratet waren: Johann, der Maria Zorn von Bulach das Jawort gab (Datum unbekannt), Hans Sebastian I. (zum ersten Mal erwähnt 1573, † 1599, begraben in Niedermorschwihr), in erster Ehe mit Klara Zorn von Bulach verheiratet (ehe er vor 1588 Maria Jakobe zu Rhein ehelichte, die 1640 verstarb) und Hans Ludwig IV. (von 1575 - 1587 „der Jüngere“ genannt, 1593 dann „der Ältere“, verstorben anno 1641), der 1602 in zweiter Ehe mit Maria Zorn von Plobsheim zusammen war. Da Letzterer erst 1602 eine Zorn ehelichte, dürfte er als Auftraggeber des Andlauer Palais ausscheiden. Bis sich neue Erkenntnisse auftun, kommen somit nur Johann und Hans Sebastian, die vermutlich beide um 1582/83 mit einer Zorn von Buhlach verheiratet waren, als Bauherr in Frage.

 

Die „Seigneurie“ zwischen Gestern und Heute

Was zwischen dem ausgehenden 16. und dem ausgehenden 18. Jahrhundert mit dem Herrensitz geschieht, ist unbekannt. Erst 1777 taucht das Gebäude im Archiv wieder auf, als es den Besitz der Familie verlässst: Die Erben des Domherren Joseph von Andlau veräußern das „Hôtel d’Andlau“, wie das Stammhaus der Familie genannt wird, an einen gewissen Joseph Antoine Kollmann. Weitere Eigentümer sind vor 1871 Marie Louise Antoinette Geschwind, geborene Kollmann, sowie 1900 deren Erben. 1901 erwirbt der Maler Marie Charles Rouge ( 1840 - 1916) das Anwesen, ehe es 1916 an Antoinette und Eugénie Rouge übergeht (verstorben 1948 bzw. 1945).

Wie Emile Bécourt 1932 schreibt, „war diese herrliche Residenz, Stammhaus der Familie von Andlau, in ihrem Innern im Laufe der Jahrhunderte völlig umgestülpt worden; die Anordnung und Dekoration der Räume wurden sukzessive dem Geschmack und den Bedürfnissen der jeweiligen Zeit angepasst. Zwar findet man noch einige schöne Salons, doch von der ursprünglichen Ausstattung sind höchstens zwei oder drei Säulen erhalten sowie ein Sprossenfenster mit in die Wand eingelassenen steinernen Fensterbänken.“ Im November 1944 dann wird das Dach im Bombenhagel schwer beschädigt. Direkt nach dem 2. Weltkrieg erfolgt eine Instandsetzung des Gebälks.

Nach dem Tod von Antoinette Rouge wird die Residenz am 29. November 1948 versteigert und gelangt in den Besitz des Benfelder Industriellen Lucien Becht (1888  - 1970). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bleibt das Gebäude bewohnt, der Vorratskeller wird zu einem Empfangssaal mit Bewirtungs- und Veranstaltungsmöglichkeiten umgebaut. 2005 erwirbt die Gemeinde Andlau das nunmehr leer stehende Gebäude und es entsteht der Plan für ein Kultur- und Umweltinterpretationszentrum. Die Geburtsstunde der „Ateliers de la Seigneurie“!

 

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